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Die Evidenz, die Politik und die Selbstbestimmung: Medizinische Leitlinien für die Geburtshilfe als vielschichtige politische Projekte

Marie Fröhlich

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Abstract


Zusammenfassung

Infolge politischen wie medizinpraktischen Regulierungsbedarfs wurden 2020 zwei große evidenzbasierte Leitlinien veröffentlicht, die zu einer Standardisierung der Geburtshilfe in Deutschland beitragen sollen. Basierend auf Material einer umfangreichen ethnographischen Regimeanalyse der Regulierung von Geburt, beleuchte ich diese Wissensprojekte und arbeite fünf sie kennzeichnende wissenspolitische Dimensionen heraus: Neben der Intention einer Standardisierung der geburtshilflichen Praxis ist dies auch der Anspruch einer Evidenzbasierung der politischen Regulierung von Geburt. Trotz scheinbarer Widersprüche boten die Leitlinien weiterhin die Möglichkeit, auch selbstbestimmungsrelevante Forderungen in Rationalitäten von Evidenz zu codieren – eine Errungenschaft frauen*gesundheitspolitischer Akteure. Aus der Perspektive der Reproduktiven Gerechtigkeit gilt es hingegen, die Leitlinien kritisch zu beleuchten. Angesichts dieser multiplen Agenden erweisen sich Leitlinien als vielfältige, ambivalente, ineinander verwobene, konfligierende wie kokonstitutierende, durch Rückkopplungseffekte gekennzeichnete politische Projekte.

Schlüsselwörter: Geburtshilfe, Selbstbestimmung, Feminismus, Leitlinie, Evidenzbasierte Medizin, Reproduktive Gerechtigkeit

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Evidence, politics and self-determination: Medical guidelines for obstetrics as multi-layered political projects

Abstract

Owing to the need for regulation, both in politics as well as in medical practice, two major evidence-based guidelines were published in 2020 with the aim of contributing to the standardization of obstetric care in Germany. Based on material from an extensive ethnographic regime analysis of the regulation of childbirth, I shed light on these knowledge projects and elaborate five knowledge-policy dimensions that characterize them. In addition to their intent to standardize medical practice, these include the aspiration of providing evidence-based political regulation of childbirth. Despite apparent contradictions, the guidelines provided the opportunity to encode self-determination-relevant calls in rationalities of evidence – a win for women’s health policy actors. From the perspective of reproductive justice, however, the guidelines need to be critically examined. In view of these multiple agendas, guidelines prove to be multifaceted, ambivalent, interwoven, conflicting as well as co-constituting political projects that have feedback effects.

Keywords: obstetric care, self-determination, feminism, guidelines, evidence-based medicine, reproductive justice

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Bibliographie: Fröhlich, Marie: Die Evidenz, die Politik und die Selbstbestimmung: Medizinische Leitlinien für die Geburtshilfe als vielschichtige politische Projekte, GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, 1-2024, S. 41-55. https://doi.org/10.3224/gender.v16i1.04

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Literaturhinweise