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Der gefährliche Geist der ‚Bevölkerung‘ in der Klimadebatte

Susanne Schultz

Volltext: PDF

Abstract


Zusammenfassung

In der Klimadebatte ist derzeit ein neomalthusianischer Reflex zu beobachten: Der Klimawandel wird über statistische Berechnungen in Zusammenhang mit einer wachsenden Weltbevölkerung gebracht, und Strategien der Geburtenkontrolle werden nahegelegt. Der Text diskutiert diese gefährliche Entwicklung kritisch: Untote Geister eines Denkens in der Kategorie ‚Bevölkerung‘ werden wiederbelebt, die untrennbar mit ihrer kolonialrassistischen und sozialdarwinistischen Geschichte verwickelt sind. Zunächst werden die Argumentationslinien sehr unterschiedlicher Akteur*innen rekonstruiert, die sich auf diese Rationalität einlassen: ein ökologischer Mainstream, der Bevölkerung als schädlichen ‚Faktor‘ berechnet, die extreme Rechte, für die biopolitische Argumentationsmuster eine Andockstelle an den Klimadiskurs darstellen, und feministische und klimaaktivistische Aufrufe zum ‚Gebärstreik‘. Daraufhin werden drei Dimensionen in diesen Argumentationslinien unterschieden: die abstrakte statistische Konstruktion eines Zuviels an menschlicher Bevölkerung, die historisch tief verwurzelte Zuschreibung dieses Zuviels an die ‚Anderen‘, sowie totalitäre Planungsvisionen einer global zu managenden ‚Fertilität‘. Im Schlussteil plädiert die Autorin aus einer Perspektive reproduktiver Gerechtigkeit für ein radikales Zurückweisen dieser Verknüpfung von Bevölkerung und Klimawandel.

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The Dangerous Ghost of ‘Population’ in the Climate Debate

Abstract

A neo-Malthusian reflex can be observed in the climate debate: Statistical calculations link climate change to world population growth and suggest strategies for birth control. The text discusses this dangerous development: undead ghosts of thought referring to the category of ‘population’ are being revived, together with their colonial-racist and social-Darwinist history. First, the arguments of very different actors engaging in this rationality are reconstructed: an ecological mainstream that calculates population as a harmful ‘factor’; the extreme right, for whom biopolitical strategies represent a docking point to the climate discourse; and feminist and climate activist calls for a ‘birth strike’. Three dimensions in these lines of argumentation are then distinguished: the abstract statistical construction of an excess population; the historically deeply rooted attribution of this excess to the ‘Others’; and totalitarian planning visions of global ‘fertility’ management. In the conclusion, the author argues from the perspective of reproductive justice for a radical rejection of this population climate change link.

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Bibliographie: Schultz, Susanne: Der gefährliche Geist der ‚Bevölkerung‘ in der Klimadebatte, Femina Politica – Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft, 2-2020, S. 23-36. https://doi.org/10.3224/feminapolitica.v29i2.03


Literaturhinweise