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Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht. Leben und Wirken Gustav Radbruchs

Philipp Glahé

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Abstract


Zusammenfassung

Vorliegender Essay betrachtet die biographischen Verknüpfungen des Rechtsphilosophen und sozialdemokratischen Reichsjustizministers in der Weimarer Republik Gustav Radbruch (1878-1949) mit seiner berühmtesten Nachkriegspublikation, die 1946 unter dem Titel Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht in der Süddeutschen Juristen-Zeitung erschien. In diesem kaum vier Seiten umfassenden Aufsatz stellte Radbruch mit seiner sogenannten „Radbruch‘schen Formel“ die Gültigkeit staatlichen Unrechts am Beispiel des Dritten Reiches infrage. Radbruchs Formel avancierte durch die in ihr vollzogene Abkehr vom Rechtspositivismus, dem zufolge Gesetz gleich Recht ist, zur rechtsphilosophischen Grundlage schlechthin für die juristische Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Zeichnet sich ein Gesetz durch einen extremen Unrechtsgehalt aus, so muss es laut Radbruch nicht befolgt werden und niemand hat das Recht, sich in seinem Handeln auf dieses zu berufen. Überdies hätte demnach jeder Einzelne erkennen können und müssen, dass die nationalsozialistischen Gesetze Unrecht waren. Radbruchs Formel ist jedoch hochgradig ambivalent, da er eine Berufsgruppe kollektiv von ihrer Anwendbarkeit ausnimmt: die Juristen. Diese hätten als „Opfer des Positivismus“, quasi aus der déformation professionelle ihres Standes heraus, als einzige das Unrecht in den von ihnen angewandten nationalsozialistischen Gesetzen nicht erkennen können. Radbruchs widersprüchliches Spätwerk ist eng mit seinem wissenschaftlichen Lebensweg und seinen eigenen Erfahrungen im Nationalsozialismus verwoben. In den 1920ern hatte sich Radbruch als Minister im Kampf gegen den Rechtsradikalismus profiliert und verlor 1933 als einer der ersten seine Professur. Nach zwölf Jahren der inneren Emigration beteiligte er sich ab 1945 zwar am demokratischen Wiederaufbau Deutschlands, gegenüber der alliierten Justiz und vormaligen nationalsozialistischen Juristen zeigte er sich allerdings zwiegespalten.

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Bibliographie: Glahé, Philipp: Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht. Leben und Wirken Gustav Radbruchs, BIOS – Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen, 1-2020, S. 104-113. https://doi.org/10.3224/bios.v33i1.06

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Literaturhinweise